Konstellationen: Konfiguration, Dynamik, Dramaturgie
Im Zuge meiner Tätigkeit als Dramaturg in choreografischen Projekten sind einige Gedanken aufgetaucht, die ich im Folgenden beschreiben möchte. Alle haben mit einander zu tun, aber nicht alle gehen nahtlos in einander über – weder gedanklich noch hier im Text.
Die Position Dramaturgie ist eine eigentümliche. Sie hat keine von vornherein festgeschriebene Rolle oder Funktion in der Aufstellung eines Projekts. Ihre allgemeine Beschreibung ist schwierig, weil sie äußerst variabel ist. Ihre Notwendigkeit, Aufgaben und Möglichkeiten müssen deutlicher als für alle anderen Positionen in choreografischen Projekten immer wieder neu definiert werden. Jedoch ist dies keine Last, wie man vermuten könnte, sondern vielmehr die Basis für größtmögliche Freiheit in ihrer Ausgestaltung. Sie kann für jedes Projekt spezifisch aufgestellt werden, um Aufgaben, Erwartungen und Verantwortlichkeit maßgeschneidert anlegen zu können und genießt so große Beweglichkeit im Arrangement von Positionen und Aufgaben.
Man könnte auch sagen, die Position Dramaturgie hat von sich aus keine Verantwortung hinsichtlich eines Prozesses oder eines zu entwickelnden Produkts. Es kann ihr eine zugewiesen werden, aber das ist keine zwingende Voraussetzung für ihre Arbeit. Im Gegenteil, es könnte von Vorteil sein, die Position Dramaturgie als Joker zu betrachten, als Freilos, das den Hauptgewinn garantiert solange man es nicht auf eine Sache reduziert: Die Position Dramaturgie kann alles solange sie nichts muss. Die daraus entstehenden Möglichkeiten und komplexen Varianten ergeben sich aus der Verknüpfung von einer simplen Ausgangslage mit einer Vielzahl an beweglichen Teilen und sind gleichermaßen Herausforderung und Reiz der dramaturgischen Arbeit in choreografischen Projekten.
In ihrem Text The Distributive Agency of Dramaturgical Labour1 bezieht sich Christel Staelpert auf den von Walter Benjamin geprägten und aus der Astrologie entlehnten Begriff der Konstellation. Sie tut dies in erster Linie, um die Position der Betrachtung (von der aus betrachtet wird) als spezifisch, subjektiv und einflussreich in Bezug auf das Wahrgenommene zu beschreiben. Ein Sternbild, das wir am Nachthimmel betrachten können, existiert als solches ausschließlich von der Erde aus gesehen und nur jetzt, da das Licht der Sterne unser Auge zu einem Zeitpunkt erreicht wenn die betreffenden Sterne möglicherweise schon längst erloschen sind. Während es vor unserem Auge erscheint als würden die Sterne eines Sternbildes ganz natürlich zusammengehören, weil sie einander nah sind und eine (mehr oder weniger) auffällige Konstellation bilden, kann es sein, dass diese Sterne voneinander weiter entfernt sind als von der Erde, der Position von der aus sie betrachtet werden. Die Auffälligkeit der (bzw. Konfiguration als) Konstellation entsteht aus einer aktiven Entscheidung aus einer spezifischen Position des Betrachtens. Wäre es möglich eine Position innerhalb dieser Konstellation (dieses Sternbildes) einzunehmen, was für eine Wahrnehmung ihrer Bestandteile würde sich wohl daraus ergeben – Raum, Zeit und die Dynamik der Körper darin würden sich gänzlich anders darstellen.
Wer sich durch das Weltall bewegt wird schwerlich irgendeins der von der Erde aus identifizierten Sternbilder wiederfinden. Die Perspektive kreiert die Vorstellung.
Für Benjamin war die Differenz von Idee, Begriff und Phänomen der zentrale Aspekt bei der Erwähnung des Sternbilds. Seiner Ansicht nach stehen Sternbild und Sterne in gleichem Verhältnis wie Idee und Phänomen. So wenig wie das Sternbild identisch ist mit den Sternen (sondern diese in einer spezifischen Form abbildet und in dieser repräsentiert), sind die Ideen identisch mit den Phänomenen – sie repräsentieren die Phänomene, bestimmen ihre Zusammengehörigkeit und bilden aus ihnen eine Konstellation. Die Phänomene bestimmen die Begriffe. Die Ideen manifestieren sich in den Begriffen. Durch dieses Gefüge aus Idee, Phänomen und Begriff sind wir in der Lage, ein Bild von der Welt zu entwerfen, eines das aus einer spezifischen Position wahrgenommen und wiedergegeben wird.
In der dramaturgischen Praxis könnten wir uns vorstellen, dass die Projekte, die wir kreieren ein Gefüge aus Punkten und Positionen sind, das spezifische Verhältnismäßigkeiten, Funktionen und Wechselwirkungen erzeugt. Da dieses Gefüge aus einer bestimmten Perspektive aufgestellt, entwickelt und wahrgenommen wird, ist es eine Konstellation, die sich ähnlich verhält wie von Benjamin beschrieben und von Staelpert zitiert. Wenn wir uns nun durch das Weltall der Projektentwicklung bewegen und durch die dynamischen Wechselwirkungen des Projekts die Ausgangsposition unserer eigentümlichen Perspektive verlassen, dabei aber an den einzelnen Punkten der Konstellation festhalten verändert sich das Bild (Form, Ästhetik), während die Punkte an sich die gleichen bleiben (Inhalt). Auf diese Weise ließe sich beschreiben wie choreografische Projekte im Zuge ihrer Entwicklung von den ersten Ideen bis zur Vollendung/Veröffentlichung eine eigene Choreografie vollziehen und dabei je nach Projektphase spezifische Bedarfe und Notwendigkeiten des Projekts zusätzlich zu den Ideen, Wünschen und Bedarfen der Position Choreografie u.a. hervorbringen.
Man kann sich vorstellen welche Kräfte auf die Verbindung der einzelnen Punkte einer Konstellation wirken müssen, wenn man an ihnen festhält während man sich mit wechselnden Richtungen und Tempi durch das All bewegt. Die Position Dramaturgie wäre nun eine, die dafür sorgt, dass die Verbindungen gehalten werden, die die Dynamik innerhalb der Konstellation beschreiben kann und die kontinuierlich zwischen den Bedarfen des Projekts und den Bedarfen der Akteure abwägen kann.
Wenn André Lepecki in We´re not ready for the Dramaturge2 über das Arbeiten ausgehend vom Nicht-Wissen schreibt und vorschlägt: „the dramaturge must engage in an `inexact-yet-rigorous´ methodology, not aligned with knowledge and knowing, but with errancy, erring and error.”, dann zielt diese Vorstellung von Nicht-Wissen möglicherweise genau auf den Nukleus der Position von der aus eine Konstellation beschrieben wird und eröffnet Möglichkeiten im Hinblick auf die von Christel Staelpert an Deleuze angelehnte Idee der „perpetual modulation“: das permanente Neu-formulieren einer Konstellation abhängig von der Dynamik der Gesamtsituation. Diese Formulierung wäre dann nicht eine Repräsentation einer Idee dessen was sein soll, sondern Ausdruck der Möglichkeiten die sein könnten, die sich mit der Entwicklung der Situation (mit der Dynamik der betrachtenden Position) verändern. Das Sternbild wäre dann ebenso dynamisch wie seine tatsächlichen Bestandteile und würde sich entsprechend der Bewegung des/der Betrachtenden verändern (was es genau genommen in der Realität tut: Würde man sich durch das Weltall bewegen und an den Punkten des Sternbilds festhalten, würden sie als Konstellation bestehen bleiben, aber die erzeugte Formation würde sich permanent ändern.
Wir gucken sehnsüchtig in den Himmel und wenn wir ehrlich sind müssen wir zugeben: Es gibt keine Sterne (außer bei Stanley Kubrik).
Ein weiterer Faktor im Arrangement der Vorstellung ist die Konstellation auf personeller Ebene – als Gefüge von Personen in Positionen mit Funktionen, das eine Vorstellung von einer Gruppe und ihrer Wirksamkeit wiederspiegelt. Für Staelpert und Lepecki geht es um künstlerisch-inhaltliche Konstellationen und Situationen, jedoch weniger um die Frage wie diese mit der Anordnung einer Gruppe zusammenhängen. Im Fall künstlerischer Projekte handelt es sich nicht um einzelne Positionen, von denen aus betrachtet wird, sondern mehrere, die auf einen gemeinsamen Fokus aus sind. Bei Staelpert, die das Projekt Auf den Tisch von Meg Stuart beschreibt, sind die Dramaturg:innen Jeroen Peters und Myriam Van Imschoot integraler Bestandteil der Gruppe und des performenden Teams, während bei André Lepecki der/die Dramaturg:in als Person imaginiert wird, die von außen zu einem bestimmten Zeitpunkt auf eine Gruppe trifft. Entsprechend dieser unterschiedlichen personellen Konstellation stellen sich Fragen des dramaturgischen Arbeitens bzw. (um bei Lepeckis Begriff zu bleiben) des Nicht-Wissens anders. Die Situation, dass ein:e Dramaturg:in eine Produktion besucht, die Lepecki als physisch-inhaltliche beschreibt, kann auch zeitlich beschrieben werden und so möglicherweise andere Wirksamkeiten sichtbar machen.
Die Entscheidung wer an welchem Punkt in der Projektentwicklung Teil des Arbeitsprozesses wird ist ein wichtiges Mittel für die Grundanordnung einer Zusammenarbeit und ein wichtiger Faktor in der dynamischen Entwicklung von Gruppen und Projekten.
Timing, Intensität und Qualität der Beteiligung wirken sich unmittelbar auf die Gestaltung der einzelnen Positionen sowie deren Verbindung untereinander und zum Gesamtprojekt aus. Je nach Aufstellung ermöglichen sie es, an unterschiedlichen Punkten in der Projektentwicklung unterschiedliche Ebenen zu berücksichtigen und anzusprechen. Insbesondere die Möglichkeiten der Position Dramaturgie stellen sich unterschiedlich dar je nach dem wann sie Teil der Konstellation und in Entwicklungsprozessen wirksam wird, und sind kein Zufall. So gesehen ist die Entscheidung in welcher Phase eines Projekts ein:e Dramaturg:in eingebunden wird eine strategisch-inhaltliche Entscheidung, die entsprechend der Bedarfe und Notwendigkeiten eines Projekts getroffen werden sollte.
Aus unterschiedlichen Arten von Zugriff und Verbundenheit in Bezug auf Entwicklungsphasen eines Projekts ergeben sich unterschiedliche Formen und Ausmaße an Verantwortung. Verantwortung ist immer eine geteilte Verantwortung, jedoch nicht paritätisch. Ihr Bezug und ihre Ausdehnung hängen von vielen Faktoren ab, u.a. auch von der Position und Funktion im Verhältnis zum Gesamtprojekt, zur gesamten Gruppe und von der Arbeitsphase in der sich ein Projekt befindet. Im Verlauf eines Projekts verschieben sich Ideen, Interessen, Materialien und entsprechend verändert sich die personelle Konstellation und Verantwortung – auch wenn die Grundformation bestehen bleibt. Teil der Gruppe zu sein bedeutet, Teil der geteilten Verantwortung und der Verschiebungen und Verlagerungen zu sein. Die Dynamik eines Arbeitsprozesses und einer sich darin verändernden Konstellation von Personen, Funktionen und Verteilung von Verantwortung kann dazu führen, dass sich Qualitäten, die wesentlich mit Positionen zusammenhingen von ihnen lösen, oder anders: Das strukturelle Verhältnis von Gruppe, Position, Funktion bleibt, aber Verantwortung und Tätigkeit orientieren sich an der Situation (in der man sich mit anderen befindet) und nicht mehr nur an der zugewiesenen Position. Die Position in der Konstellation und die einhergehende Funktion sind nicht untrennbar verbunden und ermöglichen so die oben bereits erwähnte „perpetual modulation“. Diese Verschiebung ist keine rein funktionelle, sondern betrifft gleichermaßen die Vorstellung, die die Gruppe von sich selber hat. Perpetual Modulation ist also ein Beispiel für die eingangs beschriebene Idee, sich innerhalb der Konstellation mit dem Sternbild zu bewegen und zu verfolgen wie sich das Bild mit der eigenen Bewegung verändert, während (weil) die Verknüpfung der Sterne bestehen bleibt.
Im Fußball gab es einst die Position des Liberos: der „freie“ Mann (ohne direkten Gegenspieler) als Komplementär zu den Vorstoppern (gibt’s auch nicht mehr), räumte hinter der Abwehr auf falls ein Angreifer durchkam bzw. sicherte den freien Raum hinter der Abwehr gegen Steilpässe ab. Es handelte sich dabei um eine Position mit gleichzeitig herausragender Verantwortung und der am freiesten definierbaren Funktion, mit großer Flexibilität und situativer Konzeption. Diese Position ist in den 1990er Jahren vor die Abwehr verlagert worden, es gab den Libero nicht mehr und die heute übliche Position des „6ers“ wurde entwickelt – als noch dynamischere Position, die in höchstem Maße defensive und offensive Aufgaben in sich vereint und so zur Schaltzentrale des modernen Fußballs geworden ist. Als Folge hat sich die Statik und Struktur des Spiels in allen anderen Positionen verändert und erheblich dynamisiert. Diese grundlegende strategische Veränderung im Fußball wurde nie wieder revidiert, der Libero wurde nie wieder reaktiviert (bzw. ist erst in der Neuausrichtung des Torwartspiels wieder aufgetaucht, indem der Torhüter den eigenen Arbeitsbereich nach vorne ausgedehnt hat und so ursprünglich dem Libero zugeordnete Aufgaben übernehmen kann).
Man kann daran sehen was die Verschiebung einer einzigen Position um nur ein paar Meter ausmacht. Für unser Feld choreografischer Projekte kann man sich vorstellen wie man durch die Dynamisierung einzelner Positionen das gesamte Gefüge in Bewegung bringen und das Selbstverständnis (Konstellation) verändern kann. Hier orientiert sich die taktische Aufstellung jedoch nicht an einem Gegenüber (wie im Sport) und kann entsprechend der Interessen und Bedarfe bzw. der Vorstellung von einem Projekt vorgenommen werden – egal wie anachronistisch sie im sozialen, arbeitsorganisatorischen oder tanzhistorischen Kontext auch erscheinen mag.
Wenn wir Material nicht nur als etwas verstehen, das sich entwickelt und irgendwann real wird, als etwas das performt wird, sondern auch als Material, das gemeinsam im Prozess gedacht und wirksam wird unabhängig von der Frage, ob es jemals real (haptisch, visuell, akustisch) wird, erweitern wir die Sphäre in der gemeinsam gehandelt wird.
In Thinking No-One´s Thought3 beschreibt Maaike Bleeker ein anderes Verständnis von Denken wie es von Deleuze und Guattari in What is Philosophy4 vorgeschlagen wird: „They suggest that it is a process that transpires between people rather than an individual action. Thinking starts from what they call a certain charme, a spark that lights up between people, turning them into friends.” Das Denken ist hier kein individueller Prozess, der im Kontext eines Projekts befeuert durch Wissen, Wahrnehmung und Austausch mit anderen stattfindet und dann von beteiligten Individuen jeweils in eben dieses Projekt zurückgeführt wird. Es ist vielmehr eine gemeinsame Bewegung aller Beteiligten. Ein Gedanke entsteht nicht mehr im Kopf einzelner, sondern in dem Raum zwischen denen die an dem Prozess beteiligt sind. Konstellation heißt dann nicht nur Repräsentation von Phänomenen, sondern kann sich auch auf den Raum zwischen Ideen, Phänomenen und Personen beziehen – einen Raum, der seine Qualität verändert mit jeder Position die hinzugefügt oder verlagert wird und so aktiv gestaltet werden kann.
Der Erste macht das Licht an: Die Konstellationen mit denen wir es in künstlerischen Arbeitsprozessen zu tun haben unterliegen zwei großen Einflüssen: a) sie sind zeitlich begrenzt, haben also einen definierten Anfang und ein Ende; b) sie sind nicht homogen ausbalanciert, sie leben von spezifischen Ausprägungen und asymmetrischen Anordnungen. Art und Zeitpunkt der Konfiguration können daher erheblichen Einfluss auf die mögliche Dynamik bzw. das dynamische Potential eines Projekts haben. Die Entwicklung eines inhaltlich-künstlerischen Konzepts in zeitlicher Verknüpfung mit der Konzeption und personellen Besetzung von Positionen – Anordnung und Definition von Positionen, wer wann wie Teil der Verantwortung wird – kann ein kritischer Aspekt bei der Projektentwicklung sein und über Qualitäten und Möglichkeiten eines Projekts, über Beweglichkeit und Kapazität entscheiden.
Die Position Dramaturgie ist unter diesem Gesichtspunkt von besonderem strategischem Interesse. Mit ihr kann man das Momentum bestimmen bzw. verändern. Der Raum, in dem das Denken stattfindet, verändert sich mit einzelnen Positionen, je nach dem wo und wie sie angeordnet sind. Insbesondere mit der Position Dramaturgie, die mit hoher Beweglichkeit und starker Wirksamkeit im Kontext einer Gesamtsituation ausgestattet ist (gleichzeitig hohe Verantwortung und am freiesten definierbare Funktion), kann man die Konstellation spezifisch ausprägen. Sie ist ein Game Changer. Ihre Wirksamkeit kann Räume öffnen und schließen, sichtbar machen, in den Fokus rücken oder ausblenden und so die Gesamtbewegung der Konstellation beeinflussen – ganz im Sinne des Raumes, in dem das Denken und die Bewegung stattfinden. So betrachtet kann die Dramaturgie über eine eigene Dynamik innerhalb der Dynamik der Konstellation verfügen. An ihr zeigt sich die Konstellation als dynamische Konfiguration insgesamt. Sie ist ein Feld im Feld, das in Anlage, Struktur und Wechselwirkung definiert, positioniert und austariert werden muss, um Wirksamkeit entfalten und ausrichten zu können. Dazu gehört ebenso das Wie und das Wann ihrer Konfiguration. Wann und wie die Position Dramaturgie einsetzt und ansetzt ist nicht nur eine Personalentscheidung, es ist eine konzeptionelle Aufstellung innerhalb der Gesamtkonfiguration von Inhalt, Ästhetik und Methoden und so auch Mittel zur Ausrichtung auf ein spezifisches Produkt. Insofern müssen die Optionen konzeptioneller Aufstellung selbstverständlich beinhalten, die Position Dramaturgie nicht auf eine Person zu konfigurieren, sie nicht nur in einem Komplex anzuordnen, sondern auch darin aufzulösen (und u.U. trotzdem mit einer Person zu arbeiten, die als Dramaturg:in bezeichnet wird). Dies trägt auch der Tatsache Rechnung, dass dramaturgische Praxis nicht nur im Binnenkontext eines Projekts (in den Proben) stattfindet, sondern auch auf einer Umlaufbahn zirkuliert, zwischen Positionen oszilliert und dabei ihre Definition immer wieder verändert bzw. anpasst – aber das ist ein anderer Text.
Ausgehend von diesen Gedanken, die zeigen sollen wie dynamisch Konstellationen in choreografischen Projekten angelegt sind und wie Dramaturgie eine spezifische Rolle in Bezug auf diese Dynamik spielen kann, stellen sich weitere Fragen:
Wir haben es bei choreografischen Projekten mit systemischen Gefügen zu tun, deren Komponenten wechselseitigen Bezügen und Wirkungen unterliegen während sie die Entwicklung eines Projekts prägen. Typischerweise ist diese Entwicklung nur bedingt steuerbar und vorhersagbar. Derartige Gefüge entwickeln zwangsläufig eine Eigendynamik und trotz aller dynamischer Grundkonstitution gilt auch hier das Trägheitsprinzip: Es braucht Energiezufuhr, um den Zustand eines Systems zu verändern. Wie hält man die Konstellation also in Bewegung? Wie hält man Positionen innerhalb der Konstellation in Bewegung? Wie entsteht aus und mit dieser Dynamik ein stabiles Projekt, das eine Richtung hat und in dem die grundlegenden Parameter nicht immer wieder neu verhandelt werden müssen? Aus diesen Fragen könnte sich ein strategisches Projektmanagement ergeben und Handlungsoptionen für die diversen Positionen innerhalb eines Projekts herausbilden.
Möglicherweise wäre es im Hinblick auf diese Fragen zunächst sinnvoll einen Schritt zurück zu gehen und zu betrachten, wie eine Konstellation überhaupt entsteht: Wer, wo, wie, wann beginnt ein Projekt? Wie gestaltet sich der Übergang von einer Idee zu einem Konzept? Wie und zu welchem Zeitpunkt wird aus einem Konzept Material? Auf welche Weise kommen Konzept und Team (Personen und Positionen) zusammen?
Aus diesen Überlegungen könnte ein praktischer Ansatz zur Aufstellung eines Projekts entstehen, das sich aus einer vagen Vorstellung entwickelt, um konkret und real werden zu können während es in einer spezifischen Dynamik beständig die eigene Konstellation moduliert.
hier wird Dir (eine ältere Version) des Textes vorgelesen
1) in: Dramaturgies in the New Millenium, Pewny/Callens/Coppens, Forum Modernes Theater Band 44, Tübingen 2014
2) in: Rethinking Dramaturgy – Errancy and Transformation, Centro Párraga 2010
3) in: Dance Dramaturgy – Modes of Agency, Awareness and Engagement, Hansen/Callison (Hg.), 2015
4) Gilles Deleuze, Félix Guattari, What is Philosophy?, Columbia University Press, 1994
Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, [Hilfsprogramm DIS-TANZEN/ tanz:digital/ DIS-TANZ-START] des Dachverband Tanz Deutschland.
Foto: Matthias Quabbe